Als sich der Fall des Berufserben entwickelte und seiner Lösung zustrebte, war Chefinspektor Rainer Falk ein Mittvierziger. Sein nüchterner Blick in den Spiegel zeigte ihm Folgendes: mittelgroßer Bulle, Grauanteil im braunen Haar: null, Faltenanteil im Gesicht: zunehmend, Bauchansatz: zunehmend, ästhetische Gesamtnote: abnehmend, Attraktivität für Frauen: nicht darüber nachdenken. Er selbst hätte auf der Habenseite nur seine Augen verbucht. Die Mischung aus blaugrün mit grauen Sprengseln fand er anziehend – andererseits: was machte ein interessantes Augenpaar aus, wenn sich in der gegnerischen Waagschale runde 80 Kilogramm optisch durchschnittlicher Restbulle türmten?

Falk lebte mit seiner Ehefrau Monika, die in der Erwachsenenbildung tätig war, im Haus des Schwiegervaters. Der zog seine komfortable Blockhütte zwischen den Bäumen des Gartens vor. Dies, nachdem sich seine Gattin, Monikas Mutter, mit einem seiner Klienten an einen fernöstlichen Strand abgesetzt hatte.

Monika hatte der spätere Chefinspektor noch als Polizeischüler in Wien kennengelernt. Sie studierte Biologie und Geschichte und stammte wie er aus Klagenfurt. Dass sie sich nicht in ihrem Heimatort, sondern in der zwanzig Mal größeren Hauptstadt begegneten, war kein Zufall. In der Fremde unterliegen viele Auslandskärntner einer Art magischer Klumpenbildung. Sie sammeln sich ohne erkennbares Signal in bestimmten Kneipen und bei bestimmten Veranstaltungen und sind froh und zufrieden, einfach unter sich zu sein.

Monikas Vater, damals noch auf der Suche nach einem Nachfolger für seine Kanzlei, versuchte vergeblich, Falk zu einer Wiederaufnahme seines Studiums zu bewegen. Sie verstanden sich dennoch gut. Der Chefinspektor besuchte seinen Schwiegervater regelmäßig zu Schach und Rotwein.

Die Kinder des Ehepaars Falk, Anton und Maria, waren da längst ausgeflogen und führten ihr eigenes Leben. Anton absolvierte ein Auslandspraktikum in Rom, Maria arbeitete in Wien.

Ihr eigenes Leben führten auch Falks Eltern. Sie wohnten immer noch in dem Wohnblock im Westen Klagenfurts, in dem Falk und seine jüngere Schwester aufgewachsen waren. Die Mutter, ehemalige Mitarbeiterin einer Versicherung, Abteilung Rechtsschutz, gab sich sehr kulturbeflissen, gleichzeitig nahm ihr Ordnungszwang stetig zu. Bei seinen seltenen Besuchen fühlte Falk sich allzu weit in die Kindheit zurückversetzt. Vom korrekten Abstellen der Schuhe über die Haltung beim Sitzen und seinen Umgang mit dem Besteck – nichts blieb unkommentiert. Freundlich, aber bestimmt – der Wahlspruch seiner Mutter.

Zu seinem Vater hatte Falk nie ein besonderes Nahverhältnis besessen. Jetzt bedauerte er ihn manchmal. Der ehemalige Autohändler hatte sich mit einiger Mühe – nahe am drohenden Konkurs vorbei – in die Pension gerettet. Nun lebte er neben seiner komplizierten Frau, indem er ihr so gut wie möglich aus dem Weg ging. Unter Tags durch ausgedehnte Spaziergänge, gefolgt von ausgedehnten Wirtshausbesuchen, danach mit Kopfhörern vor dem Fernseher.

Dabei war dieser Vater, Manfred Falk, einst ein hochtalentierter Auto-Mensch gewesen. Ein Mechaniker, dem die Motoren ihre Geschichte erzählten, wenn andere nur – na ja, eben einen laufenden Motor hörten. Er sprach, fühlte und dachte Auto pur. Mit einer Begeisterung, die ansteckend wirkte. Der Handel mit Autos drängte sich ihm geradezu auf. Doch so gut er sich mit Motoren und Menschen verstand, so schlecht erging es ihm mit der kaufmännischen Seite seines Berufs. Die Buchhaltung ein Chaos, Geldflüsse nicht aufzuklären, ein ständiger Kampf mit Finanzamt und Sozialversicherung.

Aus dieser Situation heraus drängte er den Sohn einst zum Jura-Studium, genau wie es die Mutter tat – wenn auch aus ganz anderen Motiven. Sie liebte Prozesse, vielleicht weil sie, wie Falk vermutete, in ihren Chef – Abteilung Rechtsschutz – verliebt war. Der Vater fürchtete Prozesse und hoffte auf familiäre Unterstützung.

Rainer Falk zog nach Wien, absolvierte zwei Semester an der Universität und bewarb sich danach spontan bei der Polizei. Ein Schritt, der bei den Eltern, wiederum aus den angeführten unterschiedlichen Gründen, nicht gut ankam.

Wenn man ihn später nach seinem Motiv befragt hätte, sich im Alter von knapp 20 Jahren für die Polizei zu entscheiden, so hätte er einen wohl mit seinen blaugrünen Augen mit den grauen Sprengseln mild betrachtet und etwas gesagt wie:
„Wer weiß, ich dachte wohl, es würde zu mir passen.“

Er hätte nicht gesagt, sei es aus Bescheidenheit oder aus Vorsicht, dass sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsbewusstsein den Ausschlag gegeben hatte – verbunden mit dem intuitiven Gefühl, er könne es an vorderster Front besser einsetzen als in einem Gerichtssaal.

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